Predigt zu Erntedank

Liebe Schwestern und Brüder,

es ist unübersehbar Herbst geworden. Die Bäume werden bunt und heute Morgen ist der Altarraum mit den Gaben von Feld und Garten geschmückt. Wir feiern Erntedank. Passend habe ich mich an ein Lied erinnert. Es ist schon etwas älter – von Udo Jürgens und von 1979. Keine Sorge, das werde ich ihnen jetzt nicht vorsingen. Aber den Text möchte ich ihnen vortragen:

Ist das nichts, daß du suchst, daß du zweifelst und fragst?
Ist das nichts, daß du traurig warst und wieder lachst?
Ist das nichts, daß du sagen kannst: „Ich esse mich satt.“.
Während irgendwo jemand kein Reiskorn mehr hat.

Ist das nichts, daß du helfen kannst, wenn du nur willst?
Ist das nichts, daß du Sehnsucht nach irgendwas fühlst,
Daß du lebst, wo die Freiheit ein Wort nicht nur ist.
Ist das nichts? Ist das nichts? Ist das wirklich nichts?
Hör‘ mir zu, meinst du nicht, du es wär‘ endlich Zeit,
Für ein wenig Dankbarkeit?

Ist das nichts, daß du weißt, wo du schläfst heute Nacht?
Ist das nichts, wenn ich sag‘: „Ich hab‘ an dich gedacht.“?
Ist das nichts, wenn du ahnst, daß es irgendwen gibt,
An den du zwar nicht glaubst und der trotzdem dich liebt?

Ist das nichts, dieser Sonnenstrahl auf deiner Haut?
Ist das nichts, daß ein Mensch dir verzeiht und vertraut
Ja, du lebst, wo die Freiheit ein Wort nicht nur ist.
Ist das nichts? Ist das nichts? Ist das wirklich nichts?
Hör‘ mir zu, meinst du nicht, du es wär‘ endlich Zeit,
Für ein wenig Dankbarkeit?

Dankbarkeit, ist das nicht ein hoffnungslos altmodischer Begriff? So altmodisch wie das Lied? So altmodisch wie die Kirche und das Fest, das wir heute feiern?

Ich sehe einen Mann vor mir und der sagt mir: Das, was ich habe und was ich bin, das habe ich mir doch selbst aufgebaut. Dafür muss ich niemandem danken… Jeder ist seines Glückes Schmied. In der Schule war ich fleißig, kein Streber, aber ich habe einen guten Abschluss gemacht. Ich habe einen anständigen Beruf erlernt, habe mich weitergebildet und bin aufgestiegen, habe sozusagen Karriere gemacht. Unser Haus hat sich nicht von selbst gebaut. Ich bin für meine Familie da, meine Frau und ich sorgen für unsere Kinder. Sie sollen einen guten Start in ihr Leben haben. Wir sparen natürlich auch und wenn die Lebensversicherung mal ausgezahlt wird, dann haben wir keine Angst vor der Rente. Und überhaupt: Dass es uns in Deutschland so gut geht – dafür haben wir und unsere Eltern hart gearbeitet. Das fällt nicht vom Himmel. Dafür müssen Menschen sich anstrengen. Von nichts kommt nichts. Darauf darf man dann auch mal stolz sein.

Ja lieber Mann, darauf kann man und darauf darf man auch stolz sein. Wenn es uns in Deutschland so gut geht, dann ist es das Ergebnis der Arbeit und der Anstrenung vieler Menschen.

Trotzdem fehlt da etwas. Was da fehlt, möchte ich ihnen mit einem Beispiel aus meinem Leben erzählen. Der kleine Peter stotterte in der Grundschule. Wenn ein Lehrer ihn etwas fragte wurde er rot und wusste keine Antwort. Offensichtlich war er nicht so helle. So kam er in die Sonderschule. Peter wurde älter und veränderte sich. So haben ihn die Rektoren der Schulen in einem Gnadenakt in die Hauptschule aufgenommen. Mit Fleiß und Geschick hat er diese Schule dann auch sehr gut geschafft.

Doch ich hätte es niemals geschafft ohne die Hilfe von Thomas Bittner. Das war in meiner Klasse der beste Fußballer, er traf das Tor aus nahezu jeder Lage. Er war der Chef der Klasse. Alle machten, was er sagte. Dieser Thomas sagte: Wer sich mit Peter anlegt, der kriegt es mit mir zu tun! Dabei kannte er Peter gar nicht. Er hat es einfach so gesagt und auch getan. Ohne seine Hilfe hätte ich den Start in die Schule nicht so gut geschafft.

Peter ging weiter zur Schule, sogar zum Gymnasium. Doch dort hatte er richtig schlechte Karten. Mathe, Naturwissenschaften – davon hatte er praktisch keinen Schimmer. Am Ende musste es sogar ein Mathe-Leistungskurs sein und in der 12/2 brachte er es auf drei Punkte. Eine fünf – Plus immerhin. Ohne die Hilfe von Klaus Kersting – heute Doktor der Chemie in Frankfurt – und ohne die Hilfe von meiner Mathe-Lehrerin Frau Dr. Schmidt-Hölscher hätte ich das niemals geschafft.

Mein Fazit aus diesen und vielen anderen Erfahrungen in meinem Leben: Ja, wenn ich etwas erreichen will, dann muss ich mich anstrengen. Doch zu meiner Anstrengung muss immer noch etwas dazukommen, etwas, was ich nicht selbst machen kann. Thomas Bittner, Klaus Kersting, Frau Dr. Schmidt-Hölscher – sie hätten mir nicht helfen müssen. Sie hatten gar keinen Grund dafür. Sie haben es trotzdem getan. Sie haben mich beschenkt. Beides gehört zusammen: Meine Anstrengung und das Geschenk, das andere Menschen mir machen.

Wir nutzen ständig Dinge, die wir uns nicht selbst und allein machen können. Schauen sie auf ein neugeborenes Menschenkind, ein Baby: es ist völlig darauf angewiesen, dass ein Mensch für es sorgt, dass es jemand füttern, sauber macht und ins Leben hilft. Das ist dann noch viele Jahre so.

Ich sehe Schülerinnen und Schüler. Ihr geht zur Schule. Niemand von euch hat die Schule gebaut. Das haben andere getan und andere zahlen für die Schule.

Wir alle nutzen Infrastruktur wie Straßen und Wege, wir freuen uns über fließendes Wasser und Kanalisation, wir vertrauen auf öffentliche Sicherheit und auf unser Gesundheitssystem und hoffen, im Alter versorgt zu sein. Niemand kann diese Dinge für sich allein schaffen.

Das ist auch in der Familie so, in der Clique, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Wenn alle nur das tun, was sie unbedingt tun müssen, dann wären wir verloren. Wenn wir unser Zusammenleben nach der Devise „Geben und Nehmen“ organisieren, wenn wir es als Tauschverhältnis organisieren, dann verlieren wir den Kit, der alles zusammenhält. Dann sind wir bald nicht mehr lebensfähig.

Deshalb ist Dankbarkeit so wichtig. Dankbarkeit, von der Udo Jürgens gesungen hat. Dankbarkeit, wie sie im Erntedankfest deutlich wird. Dankbarkeit lenkt meinen Blick auf das, was ich  tun kann und soll, ohne dass ich dazu verpflichtet wäre.

In unserer Gemeinde sehe ich viele Menschen, die sich für andere oder für etwas anderes einsetzen. In den Familien, in denen Kranke gepflegt werden. In der Schule in der Schülermitverwaltung. In den vielen Initiativen und Einrichtungen der Nächstenliebe: der freiwilligen Feuerwehr, den Tafeln, dem Hospiz, dem Näh-Kaffee, dem Besuchsdienst im Altenheim und vielen weiteren Initiativen. In diesen Wochen ist es mir besonders wichtig: Die Menschen, die sich in politischen Parteien engagieren und die ein politisches Amt übernehmen – im Stadt, im Kreis oder im Bund. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen genau das tun und das häufig nicht nur mit einer Aufgabe.

An alle anderen die Frage: Wie wäre es, zumindest eine Sache zu tun. Einmal in der Woche oder einmal im Monat? Für eine begrenzte Zeit? Um auf diese Weise etwas zurückzugeben von dem, was sie selbst unverdient empfangen haben?

Ich finde es wäre heute Zeit für ein wenig Dankbarkeit.

 

[Die Predigt habe ich am 30.9.2017 und am 1.10.2017 im Rahmen einer Heiligen Messe zu Erntedank in der Pfarrkirche Herz-Jesu in Haren-Altharen gehalten. Für die Predigt hatte ich mir Stichworte notiert. Das gesprochene Wort weicht deshalb von dem hier (nachträglich) verfassten Langtext ab. Den Liedtext finden Sie auf: https://www.udojuergens.de/lied/ist-das-nichts.]

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.