Gott durch die Mitmenschen lieben

Predigt in der Heiligen Messe zum 30. Sonntag im Jahreskreis

Lesejahr A: Mt. 22,34-40

Liebe Brüder und Schwestern,

waren sie schon einmal verliebt? So richtig über beide Ohren verliebt? Eine dumme Frage, werden sie vielleicht denken. Viele von ihnen sind schon seit vielen Jahren verliebt, manche seit mehr als 50 oder 60 Jahren. Doch sicher erinnern sie sich noch an das Gefühl, wenn man frisch verliebt ist. Man ist nervös und neugierig gespannt. Ich erinnere mich an ein romantisches Abendessen zu zweit. Ich erinnere mich sogar an das Datum. Am 14. Februar 1997, am Valentinstag. Alles hat prima geklappt. Das Lieblingsessen war gelungen, der Wein war gut. Alles war perfekt. Doch dann ein Fehler: Ich hatte vergessen, die Teller vorzuwärmen! Da möchte man alles richtig machen und dann das!

Die Juden erleben ihre Beziehung zu Gott auch als eine Liebesbeziehung. Gott hatte ihnen im Sinai seine Gebote gegeben. Er hatte ihnen gesagt, was er von ihnen will. Das haben die Juden sehr ernst genommen und sich überlegt, was das praktisch im Alltag bedeutet. Sie wollten ja nichts falsch machen. Herausgekommen ist die Mizwot, eine Sammlung von 613 Geboten und Verboten. Dort ist die gesamte Lebensführung geregelt. Das Berufsleben, die Freizeit und das Geschäft, es geht um den Körper und die Natur, um den Umgang mit dem Mitmenschen und um den Umgang mit den Tieren. Wie schnell kann man da etwas falsch machen?

Es ist wichtig, zu verstehen: Es geht bei diesen Geboten und Verboten nicht darum, Menschen einzugrenzen oder zu gängeln. Es geht um Liebe, es geht um die Liebe zu Gott. Es geht darum, aus Liebe zu Gott das zu tun, was Gott gefällt. Doch am Ende geht es manchem wie dem frisch über beide Ohren Verliebten, der vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, die Angebetete vergrault.

Das wissen natürlich auch die Pharisäer und Gesetzeslehrer. Ihre Frage ist fast schon eine Fangfrage, mindestens eine rhetorische Frage: „Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?“ Darauf kann es nur eine Antwort geben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken.“ Deshalb kann man die Zehn Gebote auch anders formulieren: Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Wenn ich dein Gott bin, dann wirst du den Namen deines Gottes nicht missbrauchen. Wenn ich dein Gott bin, dann wirst du Vater und Mutter ehren. Wenn ich dein Gott bin, dann wirst du nicht töten. Und so fort.

Doch Jesus geht noch einen Schritt weiter. Er erinnert an ein zweites Gebot, das sich auch in der jüdischen Tora und in unserem Alten Testament findet: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. […] Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ Das Gebot der Nächstenliebe ist keine Erfindung der Christen – das Gebot gibt es schon im Alten Testament. Die Besonderheit ist die Verbindung, die Jesus herstellt: Das zweite Gebot ist ebenso wichtig wie das erste. Und: An beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

[An dieser Stelle hat sich ein Messdiener mit einem Zeichenblock vor den Altar gestellt und ich mich mit Handmikrofon und Stift dazu.]

Keine Sorge – ich will jetzt keine große Zeichnung erstellen. Das kann ich auch gar nicht. Doch vielleicht wird so deutlicher, was ich meine. Am Anfang steht Gott. [Ich zeichne ein Dreieck oben in die Mitte des Blattes.] Das hier bin ich. [Ich zeichne ein Strichmännchen links unter das Dreieck.] Ich bin von Gott geliebt. [Ich zeichne einen Pfeil vom Dreieck zum Strichmännchen.] Doch wie soll ich die Liebe Gottes zurück geben? Eine Blume, ein Stein, ein Strauch, ein Bild oder ein Kreuz – das sind ja alles von Gott geschaffenen Dinge und nicht selbst Gott. Alles andere wäre ja Götzendienst. Die Lösung ist mein Mitmensch. [Ich zeichne ein zweites Strichmännchen rechts unter das Dreieck.] Auch dieser Mitmensch ist von Gott geliebt. [Ich zeichne einen Pfeil vom Dreieck zum zweiten Strichmännchen.] Jetzt ist die Lösung offensichtlich. Ich kann Gott lieben, indem ich meinen Mitmenschen liebe. Denn der wird wie ich von Gott geliebt. [Ich zeichne einen Pfeil vom linken Strichmännchen zum rechten Strichmännchen.] Ich kann Gott lieben, indem ich den liebe, den Gott auch liebt. [Der Messdiener mit dem Zeichenblock wird entlassen.]

Dieser Zusammenhang ist typisch christlich: Wir lieben unseren Gott nicht durch Opfer oder durch ausgefeilte Rituale. Jesus fordert von uns: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Der Prophet Hosea verkündet: Denn an Liebe habe ich Gefallen, nicht an Schlachtopfern. Wir lieben unseren Gott, indem wir unsere Mitmenschen lieben, so wie wir uns selbst lieben.

Auch unseren Glauben, auch unsere Kirche erleben viele Menschen als eine große Sammlung von Verboten und Geboten. Es gibt einen Katechismus, in dem steht, was ich glauben soll und ich tun oder lassen soll. Manche in unserer Kirche benehmen sich denn auch wie ein Oberstaatsanwalt, indem sie immer und ständig auf Vorschriften und ein „Du sollst“ oder ein „Du darfst nicht“ pochen. Doch ein Buch wie der Katechismus ist keine Sammlung von Vorschriften. Der Katechismus ist ein Angebot, sich mit den Grundfragen des Glaubens auseinander zu setzen. Er ist ein Angebot, sich zu orientieren. Denn das eigene Gewissen fällt ja nicht einfach vom Himmel. Es muss geschult und gebildet werden. Alle Gebote und Verbote haben nur den einen Sinn: Sie sollen uns helfen, Gott und uns selbst in unseren Mitmenschen zu lieben.

Was bedeutet das ganz praktisch? In dem Doppelgebot, das Jesus uns gezeigt hat, gibt es ja drei Beteiligte: Gott, meinen Mitmenschen und mich. Also müssen wir eine praktische Antwort für alle drei durchexerzieren. Stellen sie sich dazu vor, sie sind über beide Ohren verliebt in einen Menschen. Was würden sie tun?

Sie würden vermutlich versuchen, möglichst viel Zeit mit ihm oder mit ihr zu verbringen. Wie ist es mit ihrer Zeit für Gott? Wieviel Zeit schenken sie ihm – im Gebet, im Gottesdienst, in der Begegnung in der Eucharistie? Wie ist es mit ihrer Zeit für andere Menschen? Haben sie Zeit für ein zwangloses Gespräch? Haben sie Zeit für die fünf Minuten am Gartenzaun oder auf der Straße? Haben sie Zeit für den Besuch am Krankenbett? Wie ist es mit der Zeit für sich selbst? Haben sie Zeit zur Muße? Können sie wirklich einmal nichts tun, die Gedanken schweifen lassen? Können sie ohne Hintergedanken spazieren gehen?

Sie würden vermutlich versuchen, ihn oder sie besser kennen zu lernen. Beschäftigen sie sich mit Gott? Lesen sie in der Bibel? Sprechen sie in der Familie oder mit Freunden über den Glauben? Hören sie ihren Mitmenschen wirklich zu? Hören sie, was ihre Sorgen und Nöte sind, worüber sie Angst haben oder über was sie sich freuen? Hören sie auf sich selbst? Auf die Signale ihres Körpers, darauf, dass ihnen etwas gut tut oder dass ihnen etwas schadet?

Sie würden vermutlich versuchen, ihm oder ihr eine Freude zu machen. Womit könnten sie Gott eine Freude machen? Womit könnten sie ihren Mitmenschen eine Freude machen? Womit können sie sich selbst eine Freude machen?

Mein Vorschlag: Fangen wir noch heute damit an. Machen wir uns, machen sie sich heute eine Freude. Geben sie diese Freude weiter – an die Menschen um sie herum und dadurch am Ende auch an Gott.

[Die Predigt habe ich am 28. und 29.10.2017 im Rahmen einer Heiligen Messe in der Pfarrkirche St. Clemens in Haren-Wesuwe gehalten. Für die Predigt hatte ich mir Stichworte notiert. Die hier nachträglich geschriebene Lesefassung der Predigt kann daher vom gesprochenen Wort der Predigt abweichen.]

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