Keine Angst vor Veränderungen

Predigt in der Heiligen Messe am 5. Fastensonntag 2018

Liebe Schwestern und Brüder,

wir feiern heute den 5. Fastensonntag und die Fastenzeit strebt auf ihren Höhepunkt zu. Nächste Woche feiern wir Palmsonntag und treten in die Heilige Woche ein. In zwei Wochen feiern wir die Auferstehung Jesu.

In den Lesungen klingen diese Themen an. Jeremia verkündet den neuen Bund, den Gott mit dem Haus Israel schließen wird und Jesus kündigt an: Das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es allein. Während wir uns wie jedes Jahr auf Ostern vorbereiten, schleichen sich viele Ängste in die Köpfe und die Herzen der Menschen ein. Die möchte ich heute Abend/Morgen nicht alle aufzählen. Mir geht es um eine bestimmte Angst: die Angst, dass sich unser Land verändert, dass wir von lieb gewonnenen Traditionen Abschied nehmen müssen. Die Angst, dass wir uns vielleicht irgendwann in unserem Land nicht mehr auskennen.

Veränderung gibt es auch in der Kirche, auch in der Kirche im Emsland. Immer weniger Menschen gehen regelmäßig Sonntags zur Kirche. Sie sind heute hier und an den großen Festen sind die Kirchen im Emsland immer noch recht voll. Doch der Kirchenbesuch hat sich in den letzten Jahren fast halbiert. Es gibt immer weniger Priester. Im Herbst wird es im Bistum Osnabrück die erste Pfarreiengemeinschaft geben, die keinen Pfarrer mehr hast, sondern die von einem Laien geleitet wird. Die christlichen Feiertage sind für die meisten Menschen willkommene arbeitsfreie Tage. Auch das einfache religiöse Wissen geht zurück. Straßenumfrage mit der Frage „Was feiern wir Ostern?“ Antwort: Die Geburt des Osterhasen. Oder: ein Frühlingsfest. Religiöse Bräuche werden nicht mehr gelebt. Nehmen wir die Fastenzeit. Sechs Wochen ohne große Party – das geht doch gar nicht. Oder denken sie an die Fronleichnam-Prozessionen früher und heute. Selbst der Sonntag wird mehr und mehr zu einem Tag wie jeder andere Tag auch. Einziger Unterschied: Einige Menschen müssen dann nicht zur Arbeit.

Ein Hinweis ist mir an dieser Stelle wichtig. Diese Abbrüche kommen doch nicht daher, dass gut vier Millionen Muslime in diesem Land ihr Recht auf freie Religionsausübung einfordern und Moscheen bauen und ihre Feiertage feiern. Vielleicht ist es umgekehrt eher so, dass wir von den Muslimen lernen können, dass man seine Religion auch ernst nehmen kann. Während meiner Ausbildung habe ich ein Praktikum an einer Berufsschule in Frankfurt-Hoechst gemacht. Fast die Hälfte der Schüler im katholischen Religionsunterricht – es waren fast nur junge Männer – waren Muslime. Mich hat es sehr erstaunt, wie gut sie sich in ihrer Religion auskannten. Noch mehr hat mich aber erstaunt, wie gut sie sich in der christlichen Religion auskannten. Da kamen die christlichen Mitschüler nicht mehr mit.

Ja, es gibt im Islam gefährliche Tendenzen. Im Koran gibt es Suren, die man als Aufruf zur Gewalt interpretieren kann. Das wird auch von interessierten Kreisen getan. Doch auch in der Bibel gibt es solche Verse und auch sie wurden und werden als Aufruf zur Gewalt interpretiert. Es gibt muslimische Fundamentalisten, die unsere freie Gesellschaftsordnung abschaffen wollen. Solche Gruppen gibt es auch im Christentum – zum Glück derzeit ohne großes Echo in der Öffentlichkeit. Mit diesen gefährlichen Tendenzen müssen wir uns beschäftigen. Im Zweifel müssen die Organe unseres Staates dagegen einschreiten.

Doch die Kriege im Nahen und Mittleren Osten sind überwiegend Kriege von Muslimen gegen Muslime. Sunniten gegen Schiiten, Wahhabiten gegen Salafisten, Türken gegen Kurden, Kurden gegen Türken und so fort. Auch wenn das Christentum derzeit weltweit die am stärksten verfolgte Religion ist und viele Christen schreckliche Verfolgungen erleiden müssen: Die allermeisten Opfer islamistischer Gewalt sind Muslime. Außerdem sollten wir bedenken, dass es auch in Europa Jahrhunderte mit schrecklicher religiös verbrämter Gewalt gab. Denken sie nur an den 30jährigen Krieg. Die Katholische Kirche hat erst vor gut 50 Jahren die Religionsfreiheit anerkannt und zugegeben, dass der Heilige Geist auch in anderen Kulturen und Religionen weht und dass es auch dort Wege zum Heil geben kann. Die Menschenrechte wurden von der Katholischen Kirche bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hinein erbittert bekämpft.

Was lernen wir daraus? So wenig wie es das Christentum gibt, so wenig gibt es den Islam. Ein gutes Zusammenleben erreichen wir nur, wenn wir miteinander ins Gespräch kommen. Wenn wir uns bemühen, uns kennenzulernen und zu verstehen. Ich bin mir sicher, dass wir dann genug Gemeinsamkeiten finden, so dass wir in Frieden miteinander leben können.

Für die Veränderungen, die wir in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft erleben, hilft uns das aber wenig. Doch es ist ein fataler Fehler, die Ängste, die hier entstehen können, mit einer Angst vor dem Islam zu verbinden. Unser Dorf in Wesuwe/Tinnen verändert sich. Die Menschen lassen sich nicht mehr vorschreiben, was sie zu glauben haben. Sie richten sich auch nicht mehr einfach danach, was die Menschen um sie herum so alles für richtig halten. Sie gehen immer häufiger ihren je eigenen Weg. Die Zeit der Volkskirche, in der alle Menschen eines Ortes zur Kirche gehörten und dort mitmachten – sie ist vorbei.

Wir werden als Christen auf Dauer eine Gruppe unter vielen anderen Weltanschauungen sein: Muslime, Atheisten, Antitheisten, Buddhisten, Esoteriker… Die aktiven Christen, die sogenannte Kerngemeinde, also Menschen, die zumindest hin und wieder zur Messe gehen und sich an kirchlichen Aktionen beteiligen, diese Kerngemeinde ist schon heute in Wesuwe/Tinnen in der Minderheit.

Mir machen diese Entwicklungen keine Angst. Natürlich bin ich über einige Dinge traurig. Wenn nur noch wenige Gläubige die drei Tage vom Leiden, Sterben und der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus mitfeiern. Oder wenn hohe kirchliche Feste faktisch untergehen – wie das Patronatsfest unseres Bistums, das Hochfest des heiligen Josef. Einige Dinge machen mir auch Sorgen. Wie wird unser Leben sein, wenn es keinen Sonntag mehr gibt? Natürlich verändern sich die Formen, in denen wir unseren Glauben feiern und ausdrücken. Wir werden neue Lieder singen, an alte Formen werden neue treten. Denken sie an Frühschichten und Jugendvespern, Kinderkirche und Night-Fever.

Das macht mir aber keine Angst, weil ich mir sicher bin, dass der Heilige Geist die Kirche Jesu Christi begleiten wird. Das schützt die Kirche nicht vor Fehlern, die Geschichte ist ja voll davon. Doch der Heilige Geist sorgt immer wieder für Veränderungen, damit die Botschaft Jesu Christi vom Reich Gottes nicht verloren geht.

Vielleicht nutzen sie ja die Chance: Im Herbst sind Wahlen zum Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat. Was in der Kirche von Wesuwe/Tinnen praktisch als Gemeindeleben läuft, das bestimmen sie. Indem sie hingehen, mitmachen und mitentscheiden.

Wenn es einmal in Wesuwe/Tinnen so viele Muslime gibt, dass sie eine Moschee bauen wollen oder so viele Juden, dass sie eine Synagoge bauen wollen – dann freue ich mich für sie und bin gespannt auf das Zusammenleben.

[Die Predigt habe ich am 17.3.2018 und 18.3.2018 im Rahmen einer Heiligen Messe in der Pfarrkirche St. Clemens in Haren-Wesuwe und am 18.03.2018 im Rahmen einer Heiligen Messe in der Pfarrkirche St. Marien in Haren-Tinnen gehalten. Für die Predigt hatte ich mir Stichworte notiert. Die hier nachträglich geschriebene Lesefassung der Predigt kann daher vom gesprochenen Wort der Predigt abweichen.]

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