Urlaub 2019

Im August wurde es Wirklichkeit. Seit vielen Jahren habe ich darüber spekuliert, einmal nach Görlitz zu fahren und mir die Heimat meiner Mutter anzuschauen. Meine Mutter ist in Gryfów Śląski (früher Greiffenberg) in Niederschlesien geboren und in Neidberg, einem Teil des Dorfes Zapusta (früher Vogelsdorf), aufgewachsen. Mein Ziel war Görlitz in der Oberlausitz.

Oberlausitz? Für viele Menschen ist Görlitz doch in Schlesien. Ja und Nein. Für viele Jahrhunderte war Görlitz Teil der Oberlausitz und Mitglied im Sechs-Städte-Bund (Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lauban, Löbau und Zittau ). Die Oberlausitz reichte bis zum Fluss Queis in der Nähe von Lauban. Nach der Niederlage Napoleons 1815 musste der König von Sachsen als Verbündeter Napoleons Entschädigung leisten. So kam der Ostteil der Oberlausitz nach Preussen und damit zur preussischen Provinz Schlesien. Die Provinz wurde später noch einmal geteilt in Niederschlesien und Oberschlesien. Wirtschaftlich war das ein Erfolg für die östliche Oberlausitz. Denn so fiel sie unter die wirtschaftsfreundliche Politik Preussens und nahm an dessen wirtschaftlichen Aufschwung im 19. Jahrhundert teil. Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatte Görlitz mehr Einwohner als eine Stadt wie Osnabrück. 1945 wurde die Oder bzw. die Neiße zum Grenzfluss zu Polen und Görlitz wurde geteilt. Historisch war Görlitz und das Gebiet bis Lauban Teil der Oberlausitz.

Die Geschichte der Oberlausitz kann man an anderer Stelle nachlesen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass in der Oberlausitz nicht Fürsten und Bischöfe prägend wurden, sondern ein Kaufmanns- und Bürgerbund. Für unsere Verhältnisse kleine Städte wie Löbau mit etwa 15.000 Einwohnern haben erkennbar alte Bausubstanz und große Bürgerhäuser aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Als Westfale kenne ich die kleinen Städte, die um 1939 etwa 3.000 Einwohner hatten und deren historische Bausubstanz kleine Fachwerkhäuser darstellen. Nach dem Krieg sind diese Städte stark gewachsen. Meine Heimatstadt Harsewinkel hatte 1939 keine 6.500 Einwohner (verteilt auf mehrere Ortschaften). Heute sind es mehr als 25.000. Löbau war schon im 19. Jahrhundert eine „richtige“ Stadt und viele Einwohner waren reich. Deshalb sind die Innenstädte von Bautzen, Löbau, Zittau und eben auch Görlitz „richtige“ alte Innenstädte mit zum Teil liebevoll restaurierten Gebäuden.

Die Landschaft hat mich ein wenig an die Toskana erinnert. Eine weitläufige und wellige Landschaft, mit „Hochebenen“ und kurvenreichen Strecken mit ausgeprägten Steigungen. Am Horizont die Gebirge. Es gab wunderbare Ausblicke in die Landschaft.

Görlitz selbst ist von Kriegsschäden weitgehend verschont geblieben. Nach dem Krieg ist die Innenstadt weitgehend verfallen. Neubau gab es fast nur außerhalb der Innenstadt. Das Fluch und Segen zugleich. In Westdeutschland ist ein großer Teil der historischen Bausubstanz in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts der Modernisierung zum Opfer gefallen. In Ostdeutschland rotteten die Innenstädte vor sich hin. Doch nach der Wende war immerhin noch etwas da, was man sanieren konnte. So erstrahlt Görlitz heute in neuem alten Glanz. Wobei Glanz und Elend oft dicht beieinander liegen. Wunderschön restaurierte Altbauten stehen unmittelbar neben Ruinen. Bei so manchem Altbau wurde nur die Fassade saniert.

Wie soll es weitergehen? Die Oberlausitz und auch Städte wie Görlitz leiden unter dem demographischen Wandel. Junge und gut ausgebildete Menschen zieht es in andere Regionen, weil sie dort mehr Geld verdienen können. Zurück bleiben die Menschen, die auch woanders keine Arbeit finden und alte Menschen. Das ist im Straßenbild deutlich erkennbar. Auch die Urlauber sind eher etwas älter. Junge Menschen um die 30 machen selten Urlaub in Görlitz oder der Oberlausitz. Im Frühstücksraum meines Hotels in der Innenstadt habe ich an so manchem Morgen das Durchschnittsalter deutlich gesenkt. Wir haben in Görlitz eine Kneipe gesucht, in der wir Fußball schauen können. Vergeblich. Es gibt überall Speise-Restaurants für die Touristen. Doch um 22 Uhr ist zumeist Schluss.

Es gab viel zu sehen. Die Städte des Sechs-Städte-Bundes sind eine Reise wert. Breslau und Prag sind mit dem Auto gut zu erreichen. Breslau ist eine wunderschöne Metropole mit Aufenthalts-Qualität. Prag natürlich auch. Doch die Stadt war einfach zu voll. Immerhin gibt es ein sehr gutes Park & Ride – System. Wir haben ganz im Norden an der Endstation der U-Bahn geparkt und sind bequem in die Innenstadt gefahren.

Die Heimat meiner Mutter? Als wir sie besucht haben, hat es geregnet. Lauban war im Krieg heftig umkämpft und wurde stark zerstört. Meine Mutter sprach immer von einem Dorf mit „fünf Häusern und sieben Spitzbuben“. Was ich nicht bedacht habe ist, dass es womöglich wirklich nur fünf Häuser waren. Immerhin war Neidberg in einer Straßenkarte eingezeichnet. Doch wir haben diese fünf Häuser nicht als Dorf identifiziert. Die spärlichen Informationen, die ich habe, lassen vermuten, dass das Haus meiner Großeltern inzwischen abgerissen ist. Ein freundlicher Mann im Nachbarhaus, der immerhin ein wenig Deutsch sprechen konnte, hat uns das erklärt. Er ist dort geboren und aufgewachsen und hat viele Jahre in den Niederlanden gearbeitet. Viel zu sehen gab es also nicht. Doch ich war einmal dort.

Die östliche Oberlausitz gehört heute zum Bistum Görlitz. Bischofssitz ist Görlitz mit der Kathedrale St. Jakobus. Dort trifft sich jeden Tag eine kleine Gemeinde zur Heiligen Messe. Im gesamten Bistum leben etwa 700.000 Menschen, davon sind knapp 30.000 katholisch. Es gibt 17 Pfarreien (Osnabrück 208). Das Bistum hat 43 Diözesanpriester (Osnabrück 262), so dass rechnerisch 618 Katholiken auf einen Priester kommen (Osnabrück 1.739). Doch diese Zahlen sagen ja noch nichts über das Glaubensleben vor Ort. Bei meinen Besuchen in den Kirchen bin ich auf freundliche Menschen getroffen, die mich gut aufgenommen haben.

Überhaupt sind die Menschen sehr freundlich. Es war immer ein Small-Talk möglich, viele haben sich ausdrücklich gefreut, angesprochen zu werden. Meine Liebe zur Kartoffel habe ich wiederentdeckt. Apernmauke gibt es jetzt wieder häufiger.

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