Zeugnisse: Reichtum und Nachfolge

Bibeltext: Mk 10,28-31

In jener Zeit sagte Petrus zu Jesus: Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.
Jesus antwortete: Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen: Jetzt in der Zeit wird er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben.
Viele aber, die jetzt die Ersten sind, werden dann die letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein.

Hinweis: Den folgenden Text möchte ich nur ungern als Predigt bezeichnen. Es ist sozusagen ein persönliches Glaubenszeugnis. Er stammt aus einer Zeit des persönlichen Auf- und Umbruchs und ist so ein Zeugnis eines Lebens auf dem Weg.

Inzwischen sind einige Jahre ins Land gegangen. Vieles würde ich heute nicht mehr so sagen – trotzdem habe ich den Text so belassen, wie ich ihn damals vorgetragen habe. Der geneigte Leser/die geneigte Leserin wird sich seine/ihre eigenen Gedanken machen.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

als ich das Evangelium von heute gelesen habe war mein spontaner Gedanke: typisch Petrus! Er bringt es immer wieder auf den Punkt: „Du weisst, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.“ Er und sein Bruder hatten – wie die meisten anderen Jünger auch – ihre berufliche Existenz aufgegeben und vermutlich auch Frau und Kinder verlassen. Sie hatten ihre soziale Sicherung an den Nagel gehängt und waren diesem Jesus von Nazaret in eine ungewisse Zukunft gefolgt.

In einer vergleichbaren Situation waren die Christen zur Zeit des Markus. Sie hatten sich zwischen alle Stühle gesetzt: Den einen galten sie als Abweichler, die einem falschen Propheten folgten, den anderen als eine von vielen jüdischen Sondergruppen, noch dazu eine, die einem verurteilten Aufrührer folgte. Die Trennung verlief wohl tatsächlich oftmals quer durch Dörfer, Sippen und Familien. Es kostete buchstäblich etwas, sich zu diesem Jesus Christus zu bekennen.

Natürlich kommt sofort der Gedanke, wie die Situation heute ist. Einige von uns haben im letzten Jahr die Basilika von San Bartolomäus auf der Tiber-Insel in Rom besucht. Dort wird der Märtyrer des 20. Jahrhunderts gedacht. Mir sind besonders der Altar für Paul Schneider in Erinnerung, der als „Prediger von Buchenwald“ von den Nationalsozialisten getötet wurde. Und der Altar für die in einem Priesterseminar in Ruanda getöteten Menschen. Auch heute und in dieser Zeit werden Menschen ausgegrenzt, benachteiligt oder gar getötet, weil sie sich als Christen bekennen.

Im Vergleich dazu fühle ich mich selbst manchmal ganz klein und unbedeutend. In unserer Umgebung kostet es nicht wirklich etwas, ein Christ zu sein – von einem gelegentlichen milden Lächeln oder einer mitleidig abwertenden Bemerkung einmal abgesehen. Im Vergleich zur Situation der Jünger oder vieler anderer Christen auf der Welt ist meine – ist unsere Situation ja recht komfortabel. Also hat das Evangelium von heute mit mir nichts zu tun?

Die Worte von Petrus sind ja, wenn man es genau liest, eine Feststellung. Die Frage dazu braucht wohl gar nicht mehr formuliert zu werden, sie schwingt sozusagen automatisch mit. Das um so mehr, wenn man sich den Zusammenhang anschaut, in dem das heutige Evangelium von Markus berichtet wird: unmittelbar vor dieser Feststellung hat der reiche Jüngling gefragt: „Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen.“ Er war nach der Antwort Jesu betrübt fortgegangen. Es drängt sich förmlich auf: Hatten die Jünger nicht genau das getan, wozu der reiche Jüngling nicht bereit war?

Jesu Antwort auf die nicht ausformulierte Frage hat etwas fürsorgliches und tröstendes: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen.

Bevor jetzt der klassische Einwand der Vertröstung auf ein Jenseits erhoben wird: Jesus fährt mit dem ausdrücklichen Hinweis fort „Jetzt und in dieser Zeit wird er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten.“ Von Vertröstung kann keine Rede sein, im Gegenteil: Jetzt und in dieser Zeit. Konkreter geht das nicht mehr.

Dahinter stehe ich einen ungeheuren Anspruch. Wo, wenn nicht in der christlichen Gemeinde, sollen diejenigen, die alles aufgaben, Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten? An wenigen anderen Stellen wird Nachfolge Christi anschaulicher beschrieben. Wenn Jesus im Johannes-Evangelium sagt: ein neues Gebot gebe ich euch: liebet einander! dann weist Jesus in diesem Evangelium darauf hin, was das konkret bedeutet. Wenn Menschen wirklich Jesus nachfolgen, dann sind sie sich gegenseitig Bruder und Schwester. Jesus formuliert keine zwingende Theorie, keine abstrakte Handlungsanweisung, sondern verweist auf den liebevollen Umgang miteinander und die Hinwendung zu den Menschen, die diese Liebe zum schlichten Überleben brauchen – die armen, alten, kranken und an den Rand der Gesellschaft gestellten Menschen.

Die Reaktion Jesu auf die Feststellung des Petrus ist für mich ungewöhnlich und ist gleichzeitig ein Zeichen für seine Fürsorge. Denn offensichtlich haben die Jünger noch nicht verstanden: Wie kann man Lohn für eine Leistung erwarten, die man nicht selbst erbracht hat? Im Gespräch mit dem reichen Jüngling wurde deutlich, dass ein Mensch aus eigener Kraft das ewige Leben nicht erlangen kann. Das Gespräch endete ja mit der bestürzenden Feststellung der Jünger: Wer kann dann noch gerettet werden? und der Zusage Jesu: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich.

Die unausgesprochene Frage von Petrus verbleibt jedoch in dem Zusammenhang von Leistung und Lohn. „Wir haben alles verlassen – was bekommen wir dafür?“ Man könnte ja fast vermuten, dass es für einen guten Christen einfach dazu gehört, sich Feinde zu machen und in bitterer Armut zu leben. Doch Jesus hat durchaus nicht alle Menschen dazu aufgefordert, mit ihm durch Galiläa zu ziehen.

So verschieden die Situationen und die Menschen – so verschieden sind die Wege zu Gott. Es gibt jedoch keine Leistung, durch die ein Mensch sich das ewige Leben erwerben kann. An dieser Stelle merke ich, wie mich das Evangelium in meiner vergleichsweise komfortablen Situation anspricht: Das Gottesreich ist ein Geschenk und es kommt nicht darauf an, etwas möglichst großes zu tun. Weder durch selbst auferlegte Armut noch durch Askese oder peinliches Befolgen kleinlichster Vorschriften für den religiösen Ritus kann ich mir das ewige Leben erwirken. Es wird von Gott geschenkt. Durch dieses Geschenk werde ich frei, meine Gaben zu entdecken und mit meinen Talenten zu wuchern. Das kann ein asketisches Leben in Armut sein und auch das Befolgen religiöser Rituale kann mir eine Stütze und Orientierung im Alltag sein. Doch niemand hat einem anderen etwas voraus. Es gibt keinen Grund für religiöse Selbstgerechtigkeit. So verstehe ich die warnenden Worte am Ende: Viele aber, die jetzt die Ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein.

Am 28. Februar 2006 im Rahmen des Abendgebetes der Gemeinschaft von Sant’Egidio in der Pfarrkirche St. Barbara, Osnabrück.

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