„Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe“ (1 Kor 13,13). So beendet der Apostel Paulus das berühmte Hohelied der Liebe im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth. Ich lade sie ein, heute und an den nächsten beiden Sonntagen gemeinsam über Glaube, Hoffnung und Liebe nachzudenken.
Über jedes der drei Themen wurden dicke Bücher geschrieben. In einer Predigt kann ich nur einen kurzen Gedanken vorbringen. Ich lade sie ein, diesen Gedanken weiter zu denken. Vielleicht können Sie zustimmen, vielleicht müssen Sie aber auch widersprechen.
Fangen wir heute mit dem Glauben an.
Wir Christen, wir Menschen, die an einen Gott glauben, haben häufig den Eindruck, dass wir uns rechtfertigen müssen. Glaube gilt als schwach. Glaube gilt als Krücke für Menschen, die das nötig haben. In der Schule mussten wir Mathe-Aufgaben lösen und am Ende wurde gefragt: „Wie ist das Ergebnis?“ Wenn ich dann geantwortet habe: „Ich glaube 43!“ Dann sagte der Mathe-Lehrer sicher: „Glauben ist nicht wissen! Wie ist das Ergebnis?“
Vor gut 400 Jahren veränderte ein Buch die komplette Wissenschaft. Francis Bacon veröffentlichte 1620 das „Novum Organum“. In der Folge wurden die Wissenschaften für viele Wissenschaftler zur Naturwissenschaft. Die Naturwissenschaften beschränken sich auf das, was mit unseren Sinnen und durch Apparate gemessen, abgebildet und untersucht werden kann. Sie beschränken sich auf solche Eindrücke, die zwischen Menschen ausgetauscht werden können. Wenn ich sage: „Auf dem Altar stehen zwei Kerzen!“ Dann können Sie das überprüfen, indem sie hinschauen. Im Zweifel können Sie hingehen und den Altar abtasten. Sie können anderen Menschen das, was Sie sehen oder ertasten, mitteilen.
Die Naturwissenschaft machte von nun an Experimente. Sie entwickelt einen Versuch und erhält durch den Versuch ein Ergebnis. Jeder Mensch kann das nachvollziehen. Der gleiche Versuch wird bei allen Menschen prinzipiell gleiche Ergebnisse erzielen. Sie erinnern sich vielleicht an die Versuche mit der Batterie und der Glühbirne im Physik-Unterricht. Sie konnten die Birne zum leuchten bringen.
Selbstbeschränkung auf die Welt, wie wir sie beobachten können, Experimente und Überprüfbarkeit der Ergebnisse – das sind die Grundlagen moderner Naturwissenschaften. Ein Naturforscher sagte damals: „Ich brauche die Hypothese Gott nicht!“ Die Naturwissenschaften haben seitdem einen enormen Erfolg gehabt. Sie können viele Erscheinungen der Natur erklären und vorhersagen. Sie haben eine Technik entwickelt, die früher unvorstellbar war: Teflon-Pfanne, Herzkatheter und Quantencomputer. Es macht wenig Sinn, in die Quantenphysik nun Gott einbauen zu wollen.
Doch die Basis des Erfolges ist der Verzicht. Die Naturwissenschaft will gar nicht mehr die ganze Welt verstehen. Sie beschränkt sich auf einen Teil der Welt. Sie beschränkt sich auf ganz bestimmte Methoden. Die Naturwissenschaften wissen nicht, ob es jenseits der Welt, die sie betrachten, noch mehr gibt. Sie wissen nicht, ob die Welt tatsächlich größer und noch mal bunter ist, als die Naturwissenschaften sie uns beschreiben.
Wir Christen sind davon überzeugt, dass es tatsächlich einen Gott gibt, der alles erschaffen hat. Wir glauben, dass dieser Gott die Macht und die Kraft hat, den Lauf der Welt zu verändern. Basis für diese Überzeugung ist eine Grundentscheidung: Beschränke ich meine Welt auf die Welt der Naturwissenschaften oder nehme ich eine größere, weitere Welt an? Für beides gibt es gute Gründe. Doch keiner von beiden kann sagen: Ich bin der klügere, ich bin der vernünftigere. Entschieden wird die Sache im Himmel. So oder so.
Doch wir können trotzdem gute Gründe anführen für unsere Wahl. Doch das sind keine Gründe, die zwingend sind, so dass jeder vernünftige Mensch sagen muss: Na klar! So muss das sein! Aber es sind doch Gründe, dass ein vernünftiger Mensch sagen kann: „Na klar! Daran kann ich glauben!“
Der erste gute Grund ist die Geschichte der Menschen mit ihrem Glauben. Der Grund unseres Glaubens als Christen ist die reale und wirkliche Person, der Mensch Jesus aus Nazareth. Von ihm behaupten wir, dass er gestorben und auferstanden ist. Das behaupten Christen seit fast 2000 Jahren. In dieser Zeit haben Menschen sich auf Jesus und seine Botschaft vom Reich Gottes eingelassen. Sie haben damit gelebt und sie sind dafür und damit gestorben. In den fast 2000 Jahren sind sind im Namen Jesu viele schlimme Dinge passiert. Christen, auch Priester, Bischöfe und Päpste haben schreckliche Verbrechen begangen. Menschen, vor allem Frauen, aber auch Kinder sind auf Scheiterhaufen verbrannt. Menschen wurden ausgegrenzt oder in den Tod getrieben. Und doch finden sich in dieser Geschichte der Christen, in der Geschichte der Kirche, unglaubliche und berührende Zeugnisse der Liebe zu Gott und zu den Menschen.
Es ist wenig hilfreich, nur mit einem Auge zu schauen. Nur die Verbrechen und das Schlechte zu sehen. Oder nur die guten Werke der Heiligkeit. Die Gemeinschaft der Christen, das pilgernde Volk Gottes, die Kirche, ist eine menschliche Veranstaltung. So wie wir selbst, wenn wir ehrlich sind, immer Engel und Teufel zugleich sind, so ist das auch die Kirche.
Wenn ich auf die Geschichte der Christen schaue, dann habe ich dort viel Liebe und Vertrauen gefunden. Ich bin Menschen begegnet, die ein schreckliches Schicksal erlitten haben. Ich bin Menschen begegnet, die unglaublich viel Kraft für andere Menschen aufgebracht haben und die in Frieden gestorben sind. Ich bin Menschen in der Geschichte begegnet: Augustinus, Franz von Assisi, Thomas von Aquin, Franz von Sales, die Lübecker Märtyrer, Maximilian Kolbe. Ich bin Menschen in meinem persönlichen Umfeld begegnet: meinen Eltern, den Pastoren in meiner Kindheit und Jugend, meinem Chef in der Bank, einer Bewohnerin im Altenheim. Einen Glauben, der solche Wirkung hat, ist es wert, dass ich über ihn nachdenke.
Der zweite Grund ist meine eigene Geschichte mit meinem Glauben. Ich habe angefangen, auf die Botschaft vom Reich Gottes zu vertrauen. Ich habe angefangen darauf zu vertrauen, dass dieser Gott mich liebt und mir nahe ist. Das hat mein Leben verändert. Ich habe mich getragen gefühlt in schwierigen Situationen. Als ich meinen Job aufgegeben habe ohne Sicherheit, dass ich am Ende auch Priester werden kann. Als mein Vater gestorben ist und damit meine Kindheit unwiderbringlich verloren war. Als ich die Diagnose Darmkrebs erhielt. Ich erinnere mich: An dem Abend wurde in der Vesper der Stundenliturgie Psalm 41 gebetet.
Jetzt kann ich viel von Zufällen erzählen und von psychologischen Prozessen. Ich kann das, was ich erlebt habe, auch ganz anders deuten. Andere Menschen können mit guten gründen sage: Das sagt mir ganz und gar nichts, damit kann ich nichts anfangen.
Doch es ist die Wirklichkeit meines Lebens. Darauf kommt es an.
Auch ich bin froh, dass es Naturwissenschaften gibt. Es ist wichtig, dass wir mit den Augen der Naturwissenschaft auf die Welt und ihre Probleme blicken. Das sollten wir viel häufiger tun. Dann blieben uns viele Probleme erspart. Das Problem der Treibhausgase und der Klimaerwärmung ist seit mehr als 50 Jahren in den Naturwissenschaften bekannt. Die Folgen eines ökologischen Umbaus der Wirtschaft auf Beschäftigung und Wohlstand, wird seit mehr als zwanzig Jahren diskutiert. Unser Problem ist nicht ein zu viel an Naturwissenschaft, sondern eher ein zu wenig.
Die Naturwissenschaft ist erfolgreich, weil sie sich beschränkt. Sie beschränkt sich auf die Welt, wie wir sie mit Hilfe eben dieser Naturwissenschaft beschreiben können. Die ganze Welt kommt gar nicht in den Blick. Die Frage nach der Welt als ganzer wird ausgeblendet.
Wer nur auf die Naturwissenschaften setzt, ist ein Glauber: er glaubt, dass es nichts darüber hinaus gibt. Wer davon ausgeht, dass die Welt mehr ist, als die Naturwissenschaften bechreiben, ist auch ein Gläubiger. Beide haben am Ende den gleich Status.
Doch als Gläubiger bin ich nicht allein. Ich leben in der Gemeinschaft der Gläubigen. Ihre Geschichte, ihr Leben ist auch eine Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit bezeugt mir den Gott Jesu Christi und ich kann meine eigenen Erfahrungen mit meinem Glauben machen. Mich tragen meine Erfahrungen mit meinem Glauben. Ich bin dagegen überzeugt, dass das naturwissenschaftliche Ideal für den Alltag und viele Entscheidungen nicht taugt.
Das können sie selbst überprüfen. Wenn Sie an einer Bushaltestelle warten – woher wissen Sie eigentlich genau, dass ein Bus kommen wird? Wenn Sie auf eine grüne Ampel zufahren – überprüfen Sie dann wissenschaftlich korrekt, ob die anderen auch anhalten werden. Viele von Ihnen werden verheiratet sein. Haben Sie sich wissenschaftlich korrekt davon überzeugt, dass Ihr Partner oder ihre Partnerin Sie auch tatsächlich liebt und auch in Zukunft lieben wird?
Die Predigt wurde gehalten am 7. Dezember 2024 in der Pfarrkirche Heilige Familie in Weyhe-Kirchweyhe. Das gesprochen Wort ist im Detail sicher von dieser Fassung abgewichen. Das gesprochene Wort einer Predigt hat eine Dynamik, die hier nicht erzeugt werden kann.