Zeugnisse: Fürchtet euch nicht

Bibeltext: Mt 10,28-33

Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ohne zur Erde ohne den Willen eueres Vaters.Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.

Hinweis: Den folgenden Text möchte ich nur ungern als Predigt bezeichnen. Es ist sozusagen ein persönliches Glaubenszeugnis. Er stammt aus einer Zeit des persönlichen Auf- und Umbruchs und ist so ein Zeugnis eines Lebens auf dem Weg.

Inzwischen sind einige Jahre ins Land gegangen. Vieles würde ich heute nicht mehr so sagen – trotzdem habe ich den Text so belassen, wie ich ihn damals vorgetragen habe. Der geneigte Leser/die geneigte Leserin wird sich seine/ihre eigenen Gedanken machen.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

vielleicht geht es Ihnen wie mir: das Evangelium von heute gehört sicher zu den vertrauten Stellen der Bibel. Es gehört aber auch zu denen, die ich nicht so oft zielbewusst aufschlage. Irgendetwas sperrt sich gegen die Worte.

Vielleicht weil so oft vom Fürchten die Rede ist. Es ist das erste Wort: „Fürchtet euch nicht!“. Jesus warnt vor der falschen Furcht, letztlich vor der falschen Wahl: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann.“ Über diesen Satz bin ich beim zweiten Lesen gestolpert, denn er enthält für meine Ohren einen Stolperstein, einen der den Theologen unter Euch sicher vertraut ist, der mir aber erst beim zweiten Lesen auffiel. Es ist dort nämlich nicht vom Teufel die Rede, vor dem man sich fürchten soll. Man soll sich nicht vor dem Teufel fürchten, sondern vor Gott. Nur Gott kann Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen. Es geht also offensichtlich nicht darum, überhaupt keine Furcht mehr zu haben, sondern die richtige. Das hat mich zunächst – zugegeben – irritiert.

Danach verwendet Jesus ein eindringliches Bild: Selbst die Spatzen, die man für wenig Geld auf dem Markt kaufen kann, konnten nicht ohne den Willen Gottes gefangen und getötet werden. Bei euch – gemeint sind die Jünger, an die er seine Rede richtet – sind sogar die Haare auf dem Kopf gezählt. Das ist eine ungeheure Aussage: es geschieht nichts auf der Welt, was Gott nicht wenigstens geschehen lässt. Das ist für Jesus Grund genug zu sagen: Fürchtet euch nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.

Jesus zeichnet kein illusionäres Bild eines lieben Gottes. Sperlinge fallen zu Boden und Jünger Jesu werden getötet. Wie der Prozess um den getöteten Priester Andrea Santoro zeigt, werden auch heute noch Menschen wegen ihres Glaubens an Jesus Christus getötet. Jesus behauptet nicht, dass dies eine Kleinigkeit sei. Was diese Sätze aber behaupten, ist das Gottsein Gottes, also die Tatsache, dass er über Glück und Unglück, Hilfe und Verlassenheit, Heil und Unheil steht und sie in Händen hält. Hände, von denen Jesus sagt, dass sie die des Vaters seien.

Das kann Jesus sagen, weil er selbst Gott als seinen Vater anruft und das in seinem ganzen Leben und Sterben tut. Darum kann er seinen Jüngern mit Vollmacht sagen, dass Gott noch hinter dem Tode des Leibes mit der Fülle seines Lebens auf den Jünger wartet, der für Jesus eingestanden ist.

So lese ich auch das „Fürchtet euch nicht!“ an dieser Stelle. Es ist sicher nicht ein Ausspruch wie „Habt keine Angst!“ Das wäre naiv – angesichts dessen, was die Jünger erwartet. Jemand der keine Angst hat macht mir Angst. „Füchtet euch nicht!“ erscheint mir eher eine Art Verstärker: fürchtet euch nicht vor den Mächten dieser Welt, sondern fürchtet euch vor Gott, in dessen guten Händen ihr steht.

Klingt das nicht paradox? Auf der einen Seite ruft Jesus dazu auf, keine Furcht zu haben und auf der anderen Seite fordert er genau dies – nämlich Furcht vor Gott oder mit einem alten Wort: Gottesfurcht. Furcht ist aber nun nicht einfach Angst und schon gar nicht Angst vor Gott, wie sie vielen Menschen vermittelt wurde und wie sie von manchen noch immer vermittelt wird. Furcht fordert auf zu Vertrauen. Wenn ich mich vor etwas fürchte, dann habe ich nicht einfach Angst vor etwas, sondern ich richte mich darauf aus – ich kalkuliere es in mein Leben ein. Und so ist Furcht vor Gott nichts anderes als die Ausrichtung meines Lebens auf den, der seinen Kindern ein Vater sein will. Darin ist eingeschlossen, dass Gott auch das Unglück, das Niederstürzen des Sperlings oder eben das Getötetwerden des Jüngers, in seiner Hand hat.

Wie zeigt sich nun die richtige Furcht? Jesus fordert dazu auf, sich vor den Menschen zu ihm zu bekennen. Sich zu jemandem zu bekennen bedeutet, ihm oder ihr zu geben, was sie braucht. Mich hat als Antwort auf diese Frage mein Konfirmationsspruch inspiriert – der mich auf den Tag genau 30 Jahre begleitet: „Was ihr den geringsten unter diesen meinen Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Und der Hinweis unseres Pastors, dass unser Ja zur Taufe täglich erneuert werden will – in unserem Handeln gegenüber unseren Mitmenschen.

Am 16. Mai 2006 im Rahmen des Abendgebetes der Gemeinschaft von Sant’Egidio in der Pfarrkirche St. Barbara, Osnabrück.

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