Wovor sollte ich Angst haben?

Der Jahreswechsel ist eine Zeit für Rückblicke und Ausblicke. Wie war das Jahr 2018? Was wird im neuen Jahr kommen? Radio, Fernsehen und Zeitungen sind in diesen Tagen voll davon. Wenn ich das für unsere Kirche tue, dann entstehen bei mir gemischte Gefühle.

Der Abbruch der kirchlichen Tradition ist in 2018 unvermindert vorangeschritten. Die Zahl der Gottesdienstbesucher, die Zahl der Taufen, Trauungen und Beerdigungen hat weiter abgenommen. Auch andere Bereiche der Kirche sind betroffen. Auch kirchliche Vereine und Verbände suchen händeringend Nachwuchs.

Dann die Skandale. Die Studie zum sexuellen Missbrauch durch Priester zeigt ein erschreckendes Ausmaß eben dieser Gewalt. Das Leid der Betroffenen erschüttert mich. Wütend werde ich über den viel zu sorglosen Umgang mit konkreten Fällen.

Immer wieder das Geld. Es kann einem der Kopf schwirren über die Milliarden, die die deutschen Bistümer verwalten. Immer wieder kommt es zu Veruntreuung und Misswirtschaft. Hier mal eben 50 Millionen, dort 23 Millionen und in einem anderen Fall über 100 Millionen. In einem Bistum kommt ans Tageslicht, dass die frühere Bistumsleitung eine finanzielle Fehlentwicklung über Jahrzehnte igrnoiert hat. Die heute Verantwortlichen dürfen die Suppe auslöffeln und müssen unpopuläre Entscheidungen durchsetzen.

Schließlich die Fragen, die uns nun schon seit Jahrzehnten beschäftigen und bei denen sich gefühlt einfach nichts tut. Das Verbot künstlicher Empfängnisverhütung für Eheleute. Eine Sexualmoral, die von vielen Menschen als rigide Verbotsmoral empfunden wird. Die Rolle der Frau in der Kirche. Eine Liturgie, die in unsere Zeit passt.

Das sind drängende Themen. Themen, die angesprochen werden müssen. Themen, die diskutiert werden müssen. Doch genau das tun wird doch auch!

Ja, kirchliche Traditionen brechen ab. Doch in vielen Gesprächen spüre ich, dass das Interesse an unserer Botschaft vom Gott, der uns liebt, ungebrochen ist. Wenn ich um mich herum schaue: Religiosität boomt. Weil sie die Angebote der großen Religionsgemeinschaften nicht mehr nachvollziehen können, basteln sich Menschen ihre eigene Religion. Ein wenig Christentum hier, ein wenig Buddhismus dort und das ganze überzogen mit einer Sauce aus Esoterik. Die Formen, in denen die eigene Religiosität gelebt wird, ändert sich. Das wird auch die Kirche verändern. Die Menschen wollen sich nicht binden, sie suchen aber trotzdem Gemeinschaft. Sie suchen die Erfahrung von Zusammenhalt und Solidarität.

Ein kleines Beispiel aus der Tageszeitung von heute. Die Schülerinnen und Schüler der Oberschule Bruchhausen-Vilsen spenden 2.500 Euro an den Verein „Lebenswege begleiten“. Für mich sind daran drei Dinge bemerkenswert: Dass sich Schüler für eine gute Sache engagieren und einen Weihnachtsbasar auf die Beine stellen. Dass Menschen auf einem Weihnachtsbasar soviel Geld geben. Dass es einen Verein wie „Lebenswege begleiten“ gibt, in dem sich viele Menschen engagieren.

Wir müssen uns überlegen, was es praktisch bedeuet, als katholischer Christ zu leben.

Der Missbrauchsskandal ist schrecklich. Darüber müssen wir sprechen. Es hilft auch nicht, darauf hinzuweisen, dass es Missbrauch auch woanders gibt. Es stimmt aber auch: In der Katholischen Kirche hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Es gibt in allen Bistümern Missbrauchsbeauftragte, an die sich Betroffene wenden können. Es gibt Präventionskonzepte und Schulungen für alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir disktuieren auch über die tiefer liegenden Ursachen. Unser Bischof Bode hat schon 2010 von Machtmissbrauch gesprochen. Bischof Wilmer aus Hildesheim spricht davon, dass Machtmissbrauch in der DNA der Kirche liege. Erzbischof Kardinal Woelki aus Köln widerspricht ihm. So kommt eine wichtige Diskussion in Gang. Es wird in unserer Kirche leidenschaftlich und kontrovers diskutiert und weitere Änderungen in der Struktur der Kirche zeichnen sich ab. Richtig ist aber auch: Diese Maßnahmen waren in vielen Fällen nur duch massiven öffentlichen Druck möglich. Deshalb ist öffentlicher Druck auch gut und darf nicht nachlassen.

Ja, die Kirche ist reich. Sie verfügt über ein großes Vermögen. Doch wie ist sie dazu gekommen? Durch Spenden, Erbschaften und Stiftungen. Dadurch, dass sie sparsam gewirtschaftet hat und Geld zur Seite gelegt hat. Wenn die Kirche reich ist, dann heißt dass, dass die kirchliche Vermögensverwaltung trotz aller Missbräuche und Verfehlungen funktioniert. Darauf bin ich stolz. In der Kirche gilt das Prinzip der nachhaltigen Vermögensverwaltung. Das Vermögen von heute gehört auch den zukünftigen Generationen. Deshalb muss es erhalten und bewahrt werden.

Die Kirche veröffentlicht heute ihre Finanzen. Es gibt Geschäftsberichte nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches. Dort kann man nachlesen, welches Vermögen die Kirche hat und wofür sie ihr Geld ausgibt. Richtig ist aber auch: Wir müssen stärker darüber disktutieren, was wir mit unserem Geld machen. Wofür wir Geld ausgeben und wieviel Geld wir zurücklegen wollen. Transparenz fängt dabei auf der untersten Stufe an: Kennen sie den Haushalt ihrer Pfarrgemeinde? Der ist kein Geheimnis, den können sie einsehen.

Schließlich die drängenden Glaubensfragen. Das Bewusstsein in der Kirche ändert sich gerade. Von einer Kirche der Priester, die Gläubige als Dienstleister in Anspruch nehmen hin zu einer „Kirche der Beteiligung“, in der immer mehr Menschen an der Leitung der Kirche vor Ort und in der Bistumsleitung beteiligt werden. Ob und wie ein Bischof seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an seiner Leitungsaufgabe beteiligt, entscheidet jeder Bischof sebst und ist damit von Bistum zu Bistum sehr unterschiedlich. Hier könnte das Kirchenrecht eine größere Synodalität vorschreiben.

Es werden auch immer mehr Frauen an Leitungsaufgaben der Kirche beteiligt. In allen Ebenen der Kirche sind Frauen in Leitungspositionen tätig. Es sind immer noch zu wenig und es gibt noch viel zu tun. Doch die Kirche ist auf dem richtigen Weg. Nur im Vatikan – da gibt es zugegeben sehr wenige Frauen. Zumindest in Leitungsfunktionen. Nur eine Idee: Es gibt nach meiner Kenntnis kein göttliches Recht, das vorschreibt, dass Kardinäle Priester und damit Männer sein müssen. Das kirchliche Recht kann man ändern.

Die katholische Kirche ist eine Weltkirche mit mehr als 1,2 Milliarden Gläubigen. Nur weil wir in Westeuropa oder in Deutschland etwas auf eine bestimmte Weise sehen, sehen das die Gläubigen im Rest der Welt noch längst nicht so. Der Papst und die Bischöfe leisten einen Dienst an der Einheit der Kirche. Sie müssen „den Laden zusammenhalten“. Das geht manchmal bis an die Grenze dessen, was man ertragen kann.

Mir hilft die Unterscheidung der Hierarchie der Wahrheit und von Glaubenszustimmung und Glaubensgehorsam. Die Hierarchie der Wahrheiten bedeutet: Die Glaubenssätze der Kirche, d.h. die Lehrentscheidungen der Päpste und der Konzilien sind nicht alle gleich wichtig. Es gibt solche, die grundlegend sind und die ich nicht ablehnen kann, ohne dass ich nicht mehr katholisch bin und es gibt solche, die weniger wichtig sind. Die grundlegenden Glaubenssätze erfordern Glaubenszustimmung. Wenn ich sie ablehne, dann lehne ich einen Kern des Glaubens ab. Beispiele? Das Glaubensbekenntnis, das wir gleich zusammen sprechen werden. All die anderen Glaubenssätze erfordern Glaubensgehorsam. Das heißt: Ich muss mit ganzem Herzen und mit ganzem Verstand mich bemühen, zu glauben, was mir da gesagt wird. Dabei kann es passieren, dass ich einem Glaubenssatz nicht zustimmen kann. Dann lebe ich in einer Einzelfrage im Widerspruch. Ich denke, diese Widersprüche müssen wir aushalten. Es gibt keine einfache und klare Trennlinie zwischen „das ist noch katholisch“ und „das ist nicht mehr katholisch“, die über die grundlegenden Sätze hinausgeht, die Glaubenszustimmung erfordern. Katholisch kommt von καθολικός was soviel heißt wie „allumfassend“. Seit zweitausend Jahren streiten die Gläubigen darüber, was alles unter den weiten Mantel des katholischen, das heißt allumfassenden Glauben fällt und was nicht. Deshalb macht mir Streit und Auseinandersetzung in unserer Kirche keine Angst. Außerdem: Viele Themen diskutieren wir jetzt sei gut 50 Jahren. Was ist das angesichts einer 2000jährigen Geschichte?

Liebe Schwestern und Brüder, das ar jetzt ein Ritt durch große Themen. Zum Jahreswechsel macht man das wohl manchmal. Wenn ich in die Zukunft schaue, wenn ich auf die Zukunft meiner Kirche schaue, dann wird mir manchmal Angst und Bange. Alles kann passieren und mit Sicherheit wird nichts so bleiben, wie es heute ist.

Doch ich vertraue auf die Zusage Jesu „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“ Wenn ich auf das Kreuz blicke, dann sehe ich: Gott ist auch in den finstersten Momenten bei mir. So frage ich mit dem Apostel Paulus: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“

Das ist meine Zuversicht. Nicht ein wurstiges „Es ist noch immer gut gegangen.“ Auch kein fatalistisches „Es kommt wie es kommt.“ Auch kein resignatives „Es wird schon irgendwie gut gehen.“ Sondern ein freudiges „Du bist bei mir alle Tage. Wovor sollte ich Angst haben?“

[Die Predigt habe ich gehalten am 31.12..2018 in der Pfarrkirche St. Paulus in Syke, am 31.12.2018 in der Pfarrkirche Heilige Familie in Weyhe-Kirchweyhe und am 1.1.2019 in der Pfarrkirche Heilig Geist in Stuhr-Brinkum. Für die Predigt hatte ich mir Stichworte notiert. Die hier nachträglich geschriebene Lesefassung der Predigt kann daher vom gesprochenen Wort der Predigt abweichen.]


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