Predigt zum Evangelium des 5. Fastensonntags.
Evangelium nach Johannes, Kapitel 11, Verse 1 bis 44.
Social Distancing…
Ein Sonntag ohne Eucharistie. Wann hat es das schon einmal gegeben? Eine alte Frau sagte zu mir: „Damals sind um uns die Bomben gefallen. Doch wir haben immer die Heilige Messe gefeiert!“ Das ist nun anders. Am 13. März haben die Gremien unserer Pfarreien beschlossen, den Empfehlungen des Bistums zu folgen und alle Veranstaltungen, auch alle Gottesdienste und Messen, abzusagen. Am 17. März kam dann das Verbot der Landesregierung.
Seitdem ist Distanz angesagt. Wir sollen zuhause bleiben und Distanz zu unseren Mitmenschen halten. Inzwischen dürfen wir nur noch allein nach draußen oder mit Menschen, mit denen wir sowieso zusammenleben. Die meisten Geschäfte haben geschlossen. Viele Menschen arbeiten im Home-Office, andere haben Kurzarbeit.
… und seine Folgen
Zuhause bleiben. Für viele Menschen erstmal eine schöne Vorstellung. Das Leben wird entschleunigt und zuhause ist es ja auch schön. Doch was mache ich mit der freien Zeit? Wie beschäftige ich die Kinder? Wie bekomme ich das Leben zuhause mit dem Home-Office unter einen Hut?
Zuhause ist es ist nicht für alle Menschen schön. Konflikten kann man nicht mehr aus dem Wege gehen, Einsamkeit wird spürbar. Aktivität kann ja auch eine Form der Verdrängung sein. Wenn diese Aktivität ausfällt, dann kommen die Themen nahe, die man sonst auf Abstand hält. Wie gehe ich mit Angst um?
Es gibt Menschen, die konkrete Existenzsorgen haben. Wer selbständig ist und nun keine Aufträge mehr erhält. Wer ein Geschäft betreibt und nun seinen Laden geschlossen halten muss. Restaurants und Bars, die nur noch sehr eingeschränkt arbeiten können. Selbständige, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Arbeiter und Angestellte, die in der Kurzarbeit auf Lohn verzichten müssen oder nun Angst um ihre Arbeitsstelle haben.
Wir schauen um uns herum und stellen fest: Es ist doch eigentlich alles in Ordnung! Wo ist das Virus? Wir sehen die Bilder aus Italien und Spanien und hören auf die Prognosen der Wissenschaftler. Eine so tiefgreifende Lähmung des öffentlichen Lebens hat es in Deutschland noch nie gegeben.
Die Folgen sind unabsehbar: Es wird Selbsttötungen geben, psychische Krankheiten und häusliche Gewalt werden zunehmen. Von den wirtschaftlichen Folgen einmal ganz abgesehen. Die Bundesregierung nimmt große Geldsummen in die Hand, um die Folgen zu mildern. Europäische Solidarität ist gefragt. Fehlt dieses Geld am Ende für die Lösung ganz anderer Probleme: Flüchtlingsbewegungen, Klimawandel, …
Unsicherheit
Ich bin kein Virologe und kein Epidemiologe. Mir bleibt keine andere Möglichkeit, als den WissenschaftlerInnen und den PolikerInnen zu vertrauen. Natürlich kann ich überprüfen, ob das, was mir gesagt wird, halbwegs logisch erscheint. Mehr aber auch nicht. Deshalb ist eine kritische Öffentlichkeit wichtig, in der die Erkenntnisse über das Virus und seine Behandlung diskutiert und in der die Maßnahmen der Politiker auch in Frage gestellt werden dürfen.
Dabei muss ich hinnehmen, dass Wissenschaftlicher nicht in allen Fragen einer Meinung sind. Ich muss mit der Unsicherheit meines Wissens leben lernen und trotzdem Entscheidungen treffen. Das fast ist immer so, auf jeden Fall bei allen wirklich wichtigen Entscheidungen. Es sind Entscheidungen in Unsicherheit. Das wird mir jetzt nur besonders deutlich.
Der tote Freund
In dieser Situation lese ich das Evangelium vom 5. Fastensonntag. Es ist eine recht lange Erzählung von der Auferweckung des Lazarus aus dem Evangelium nach Johannes. In den Hauptrollen: Jesus, die Schwestern Maria und Martha und ihr Bruder Lazarus. Das Verhältnis Jesu zu den anderen dreien wird auch beschrieben: Jesus liebte Maria, Marta und Lazarus.
Als Jesus die Nachricht von der Krankheit des Lazarus erreicht, bleibt er erstaunlich ruhig: „Diese Krankheit wird nicht zum Tod führen.“ Er bleibt sogar noch zwei Tage an dem Ort, wo er war. Unglaublich! Hat Jesus kein Herz? Wie kann er Lazarus lieben und sich dann soviel Zeit lassen?
Als Jesus in Betanien ankommt, ist Lazarus schon sein vier Tagen begraben. Hatte sich Jesus also geirrt? Führt die Krankheit des Lazarus doch zum Tode? Marta geht Jesus entgegen und sagt: „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.“
Als Jesus ihr erklärt, dass Lazarus auferstehen wird, stimmt Marta zu. Er wird sicher bei der Auferstehung am Jüngsten Tag auferstehen. So hat Jesus das aber nicht gemeint. Deshalb stellt er klar: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“ Jetzt begreift Marta und bekennt: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“
Auf dem Weg zum Grab des Lazarus gibt es dann noch einige Verzögerungen. Jesus ärgert sich darüber, dass Maria und die anderen Anwesenden ihm offensichtlich nicht zutrauen, Lazarus wieder zum Leben zu erwecken. Er weist Maria zurecht und tut schließlich, was er angekündigt hat. Lazarus kommt aus dem Grab heraus, Füße und Hände mit Binden umwickelt.
Die Mitte
Das kurze Gespräch zwischen Jesus und Marta ist für mich die Mitte der Erzählung. Jesu Selbstoffenbarung: „Ich bin die Auferstehung und das Leben!“ und das Bekenntnis Martas: „Ich glaube, dass du der Messias bist.“ Dieses Bekenntnis kommt nicht nach der Auferstehung des Lazarus. Das Christus-Bekenntnis ist nicht die Reaktion auf ein Wunder. Es ist das Vertrauen in Jesus als den Christus, das das Wunder erst möglich macht.
Wer ist dieser Jesus für mich?
Das ist auch zentrale Frage an mich: Wer ist dieser Jesus für mich? Ist er der Messias, der Sohn Gottes? Vertraue ich darauf, dass dieser Jesus Auferstehung und Leben ist und dass nicht wirklich sterben kann, wer ihm vertraut? Diese Frage gewinnt erstaunliche Aktualität.
Vertrauen in Jesus als den Sohn Gottes bedeutet nicht, dass mir nichts passieren kann. Meine wirtschaftliche Existenz kann ruiniert werden, Konflikte lösen sich nicht einfach so auf, ich kann krank werden und ich kann an einer Krankheit auch sterben. Die Widrigkeiten dieser Welt bleiben bestehen, Schmerz bleibt Schmerz und Angst bleibt Angst. Doch diese Angst, so tief sie auch geht, frisst nicht meine Seele auf.
Denn was immer mir oder Menschen, die mir am Herzen liegen, auch geschieht: Jesus bleibt der Herr über Leben und Tod und er will Auferstehung und Leben für mich. Das ist der Kern meines Glaubens. Dieser Glaube schenkt mir eine gewisse Gelassenheit und Zuversicht in Situationen, in denen ich sonst verzweifeln oder resignieren müsste. Auch in Corona-Zeiten.